Sabina Baumann - Zu Hause ist überall & Körper,Geister,Landschaft

Das Schubladendenken ist dem Menschen eine liebe Angewohnheit. Ich bin ich, du bist du, er ist so, sie ist anders und es ist mein. Einem derart gesellschaftlich determiniertem Werte- und Formsystem stellt Sabina Baumann ihre Zeichnungen und Objekte entgegen. An ihren traumhaft-skurrilen Geschichten und Szenerien scheitern alle Kategorien. Baumanns Arbeiten sind das Nebeneinander augenscheinlich unvereinbarer Welten, Darstellungen der Gleichzeitigkeit des Andersartigen/Anderen und somit ein Spielfeld phantastischer Denkbilder.

Zu Hause ist überall lautet der Titel einer der beiden Zeichnungen, die Sabina Baumann im Rahmen der Ausstellung Ich Tier! (Du Mensch) - Ich Mensch! (Du Tier) zeigt. Der Titel ist ein lakonischer Kommentar dessen, was sich da in weiter, öder Landschaft abspielt. Aus dem dürren Boden geschossen, baut sich mitten im Bild ein männlicher Bodybuilder-Körper auf, der mit den zum bersten angespannten Muskeln einem billigen Actionstreifen entsprungen scheint - eine wuchtige Ladung Heldenkörper, die Faust geballt zum Zeichen seiner Kraft und Potenz. Wäre da nicht dieses lächerliche Köpfchen, das aus dem Rumpf herauswächst. Leicht idiotisch reckt es sich der weiten Landschaft entgegen - unschlüssig darüber, woher es kommt und was mit ihm geschehen soll. Und wären da nicht die Käfer, die den Körper umschwirren und die uns bald klar machen: Unser Kraftbolzen ist ein Termitenbau, das zu Hause der anfliegenden und heran kriechenden Insekten; der stählerne Körper ist nur Hülle eines emsigen Treiben und Tuns. Sigmund Freuds Aussage „Das Ich ist nicht Herr im eigenen Haus“ wird in Sabina Baumanns Zeichnung ad absurdum getrieben. Da ist dieses etwas, das wir als ein Individuum erfahren, als einen Organismus, das aber über kein eindeutig definierbares Ich verfügt. Sabina Baumann konstituiert mit ihrer Figur eine ganz eigene Form von Subjektivität, fern vorgegebener Verschränkungen von Körper und Identität.

So wie unser Blick zu Sabina Baumanns anderer Zeichnung wandert, ertappen wir drei geisterartige Köpfe, wie sie unverschämt zum Muskelprotz zu ihrer Rechten stieren. Sie könnten Mann im Mond, Comicfigur oder Monster sein und entwachsen einer diffusen Fels- oder Nebelmasse, die einzig anhand der daraus hinausragenden Gliedmassen als Körper zu identifizieren ist. Ein muskulöser Arm in einer Pose, die Ausdruck von Sieg, Kraft und Männlichkeit ist, zielt in die nächtliche Landschaft hinaus. Erbärmlich dagegen das dünne Beinchen, das steif und knochig unterhalb des Armes baumelt! Zu sehen sind (nicht nur) laut Titel Körper, Geister, Landschaft; nicht aber in Abgrenzung zu einander in ordentlicher Funktion, sondern vermengt zur hybriden Masse. Das dünne Bein mag für die Sorgen der 3. Welt stehen, der starke Arm für die Vormachtstellung des Westens; die kleine Pfote an der Seite des Geisterwesens baut Brücken zur Tierwelt. Den Geisterköpfen sind weder Geschlecht noch Ethnie zuzuordnen, geschweige denn ein Körper. In dieser allegorisch durchwirkten Landschaft bringt Sabina Baumann zusammen, was für gewöhnlich divergiert: Spiritualität und Politik, Mensch und Tier, arm und reich, Geist und Körper. Verstehen wir es als einen Aufruf, die Welt wieder oder endlich als Ganzes wahrzunehmen, als ein zusammenhängender Organismus, der sich über Gemeinsamkeit nicht über Unterschiede definiert.

Text von Yasmin Afschar

Sabina Baumann wurde 1962 in Zug in der Schweiz geboren und lebt und arbeitet in Zürich. 1987 bis 1991 studierte sie bildende Kunst an der Höheren Schule für Gestaltung in Zürich (heute ZHdK). Seit 1992 ist sie freischaffende Künstlerin. Als solche stellte sie verschiedentlich im In- und Ausland aus. In der Schweiz zum Beispiel 1998 im Aargauer Kunsthaus Aarau, 2000 im Centre d'Art Contemporain Genève, 2002 in der Fondation Beyeler, 2003 in der Kunsthalle Zürich oder 2007 in der Shedhalle in Zürich. 2010 werden Sabina Baumanns Werke im Rahmen der Wanderausstellung „Voici un dessin suisse“ im Musée Rath in Genf und im Swiss Institut New York zu sehen sein. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.

Im Ausland stellte Sabina Baumann u.a. in folgenden Institutionen aus: 1998 im Espace de l'Art Concret Mouans-Sartoux, Frankreich, 2000 in der Kunsthalle Tirol und im Bonner Kunstverein, 2002 in der Fondatione Pistoletto in Biella sowie 2007 im Center for Contemporary Art Plovdiv in Bulgarien und im Künstlerhaus Bethanien in Berlin.

Neben ihrer individuellen Ausstellungstätigkeit und Kunstproduktion ist Sabina Baumann immer wieder als Initiantin und Mitorganisatorin/Kuratorin verschiedener Kunst- und Filmprojekte tätig. Zum Beispiel 1996 im Projekt „erotisch, aber indiskret“, einer Veranstaltungsreihe zu Kunst, Feminismus und Pornografie, die über die Dauer eines Monates u.a. an der HSfGZ (heute ZHdK), in den Kinos Xenix und Stüssihof und in der Shedhalle in Zürich stattfand. Seit 2002 entstehen unter dem „Label“ Casual verschiedene Projekte zum Thema Geschlecht und sexuelle Identität, u.a. der Experimental-Dokumentarfilm „Working on it“, 2008, 50min., CH/D, in Kooperation mit Karin Michalski, Berlin.

Sabina Baumann war und ist Mitglied verschiedener Gremien und Jurys und erhielt zahlreiche Kunst- und Film/Videostipendien, wie zum Beispiel die Auslandstipendien der Stadt Zürich in New York 1996/97 und des Aargauer Kuratoriums Berlin 2000. Seit 2001 ist sie Dozentin für plastisches Gestalten an der F+F Schule für Kunst und Mediendesign in Zürich. 2006-08 war sie Dozentin für Kunst an der Haut École d'Art et de Design (HEAD) in Genf und 2008/09 an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK.

2009 erschien in der Edition Fink anlässlich der Ausstellung „Es“ im Kunsthaus Langenthal, ein monografischer Katalog über Sabina Baumanns Arbeit der letzten 22 Jahre.

Vertreten wird Sabina Baumann seit 1995 durch die Galerie Mark Müller, Zürich.